20 Jahre Hannoversches Interventionsprogramm gegen Häusliche Gewalt

HAIP vom Projekt zum Programm - Enttabuisierung eines dunklen Themas

Hannover. In einem Pressegespräch anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Hannoverschen Interventionsprogramm gegen Häusliche Gewalt(HAIP) haben am 28. September Friederike Kämpfe, Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Hannover, Volker Kluwe, Polizeipräsident der Polizeidirektion Hannover und Prof. Dr. Carol Hagemann-White, Soziologin, über die Entwicklung von HAIP vom Projekt zum interdisziplinär vernetzten Programm aus unterschiedlichen Blickwinkeln berichtet.

Bereits 1992 wurde der Runde Tisch gegen Männergewalt in der Familie, der HAIP entwickelte, ins Leben gerufen. Zu den HAIP Mitgliedern gehören Institutionen, Einrichtungen, Verbände und Initiativen. 1997 konnte das Programm durch eine entsprechende Verfügung des Polizeipräsidenten offiziell umgesetzt werden. Es begann ein langer Weg, das Tabuthema häusliche Gewalt aus der Dunkelheit in den Blickpunkt der Gesellschaft zu rücken. Denn sehr lange galt häusliche Gewalt als Privatangelegenheit. Erst 2002 änderte sich die Sachlage mit Inkrafttreten des „Gewaltschutzgesetzes”. Mit ihm eröffneten sich mehr Möglichkeiten Straftaten durch Gewalt im häuslichen Umfeld anzuzeigen und zu verfolgen. Die Kultur des Wegsehens begann aufzuweichen und vorallem Frauen wurden mutiger, sich zu wehren, sich Hilfe zu suchen und Gewalt anzuzeigen.

Mehr als 80 Prozent der bekanntgewordenen Gewaltvorkommnisse in familärem Umfeld gehen nach wie vor von Männern aus. Aber natürlich stehen die durch HAIP möglichen Hilfsangebote männlichen Opfern ebenso offen. Ziel des Programms ist, von häuslicher Gewalt betroffenen Menschen umfassenden Schutz, Hilfe und Unterstützung anzubieten. Ein wichtiger Aspekt der HAIP-Arbeit besteht auch darin, Gewaltverursacher*innen zur Verantwortung zu ziehen und eine Verhaltensänderung durch sinnvoll vernetzte Intervention, längerfristige Begleitung und Beratung zu erreichen. Die effektive Bekämpfung häuslicher Gewalt erfordert daher ein kombiniertes und koordiniertes Zusammenwirken auf interdisziplinärer Ebene – vor allem von Polizei, Justiz und Unterstützungseinrichtungen.

Friederike Kämpfe, Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Hannover betonte:

“In den letzten 20 Jahren hat sich beim Hannoverschen Interventionsprogramm gegen Häusliche Gewalt vieles verändert: Mittlerweile ist HAIP kein Projekt mehr, sondern ein fest installiertes und etabliertes Programm. In Hannover sind in dieser Zeit Angebote für Betroffene von häuslicher Gewalt eingerichtet werden, die nach wie vor bundesweit nicht selbstverständlich sind: Das sind das Männerbüro mit seinem Angebot für Verursacher häuslicher Gewalt, die Beratung von Gewalt betroffene Migrantinnen, die SUANA/kargah e.V. anbietet oder auch das Angebot für Täterinnen des Beratungs- und Therapiezentrums. Auch den Wechsel vom Präventionsprogramm Polizei-Sozialarbeit zur Beratungs- und Interventionsstelle (BISS) gegen Gewalt konnte durch HAIP gut getragen und gestaltet werden. Manches wiederum hat sich nicht geändert – und das ist auch gut so: HAIP lebt auch weiter von der Vielfalt an Fachlichkeit und dem hohen Interesse der Vertreter*innen aus Polizei, Verwaltung, Beratungsstellen und Staatsanwaltschaft am gegenseitigen Austausch und Verstehen im Sinne der von häuslicher Gewalt betroffenen Menschen. Dabei geht es nicht nur darum, Betroffene zu unterstützen und ihnen umfassenden Schutz und Hilfe anzubieten, sondern auch darum öffentlich Position gegen häusliche Gewalt zu beziehen und sich in gesellschaftliche Diskussionen einzumischen.

Volker Kluwe, Polizeipräsident der Polizeidirektion erklärte:

“20 Jahre HAIP – ein beeindruckendes Jubiläum und letztendlich auch die beeindruckende Erfolgsgeschichte eines Programmes, an dem auch die Polizeidirektion Hannover von Anfang an beteiligt war. Zusammen mit unseren Partnern aus Verwaltung, Justiz und den vielen Beratungsstellen ist es uns gelungen, ein hervorragend funktionierendes Netzwerk im Wirken gegen häusliche Gewalt aufzubauen. Nach wie vor werden unsere Kolleginnen und Kollegen zu vielen Einsätzen gerufen, bei denen Gewalt in der Familie eine Rolle spielt. Sie sind die ersten vor Ort, die die Betroffenheit der Opfer erleben. Nicht selten spielen auch Kinder eine Rolle, die die Eskalation zwischen den Eltern miterleben müssen oder gar selbst Opfer werden. Im Rahmen des Studiums und auch in ergänzenden Fortbildungen werden Polizistinnen und Polizisten ganz gezielt auf derartige Situationen vorbereitet, um insbesondere durch konsequentes Einschreiten gegenüber den Tätern am Einsatzort die Gewaltspirale zu durchbrechen. Auch reicht das rechtliche Instrumentarium aus, um die Lage vor Ort zu klären und den Täter einer Strafverfolgung zuzuführen. Nachhaltigkeit im Sinne einer Verhaltensänderung erreicht man aber nur durch begleitende Maßnahmen wie Unterstützungs- und Beratungsangebote für Opfer, aber auch gezielte Angebote für Täter. Hierfür bietet das HAIP-Programm eine vielfältige Palette an Möglichkeiten.”

Prof. Dr. Carol Hagemann-White, Soziologin erläuterte:

“Die Forschung über institutionelle Kooperation hat gezeigt, dass sie am besten gelingt, wenn jeder Beruf und jeder Dienst den eigenen Auftrag professionell und korrekt ausführt. Die Interventionskette stellt man sich vielleicht am besten als einen Ring mit vielen Türen vor, der an jeder Stelle betreten oder verlassen werden kann, und zudem durch viele Wege kreuz und quer intern verbunden ist. Entscheidend ist, dass die Kette als Angebot nicht unterbrochen wird, sondern an jeder Stelle Anschlussmöglichkeiten aufweist, die – und das ist entscheidend – von Seiten der Einrichtungen vermittelt werden. Die Prinzipien der Wahrung der Vertraulichkeit und der Stärkung der Selbstbestimmung der Betroffenen bleibe bei aller Kooperation erhalten. Interventionsmodelle sind nicht eins-zu-eins übertragbar, sondern müssen mit den unterschiedlichen institutionellen und rechtlichen Strukturen, den regionalen Bedingungen und Traditionen kompatibel sein; erfolgreiche Modelle wie HAIP werden aus den Ressourcen am Ort entwickelt. Statt einer normativen Einigung über „best practice“ empfiehlt sich die Entwicklung einer Ethik der Intervention, die dann ihre beste Wirkung entfaltet, wenn die Urteilskraft der Fachkräfte gebildet und gestärkt wird, damit sie befähigt werden, in einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft in jedem Einzelfall aufmerksam zuzuhören und so zu handeln, wie es dieser konkreten Person am meisten hilft, der Gewalt ein Ende zu bereiten.”

HAIP, so sind sich alle drei Protagonist*innen des Pressegespräches sicher, hat erfolgreiche Kooperationsbündnisse organisiert, nachhhaltige Veränderungen in Intervention und Prävention bewirkt und zeigt zugleich wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Fällen von häuslicher Gewalt ist.

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