Was ist eigentlich ein Binnenhafen?

Nachdem der Bund im Rahmen der Reform seiner Wasser- und Schifffahrtsverwaltung bereits eine Priorisierung der Wasserstraßen vorgenommen hat, um zukünftig Investitionen zu lenken und zu sparen, hat er jetzt ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die „Wettbewerbsfähigkeit der Binnenhäfen erhöhen“ soll, sie dazu gruppiert – und als HUB-Standorte qualifiziert bzw. abqualifiziert, wenn sie diese Funktion nicht ausfüllen können. Der Widerhall aus der Wirtschaft ist beachtlich und eröffnet die Frage, ob das BMVBS eigentlich weiß, welche Funktionen ein Binnenhafen ausübt und Potenziale er bietet?

 

BMVBS-Staatssekretär Enak Ferlemann irritiert die Branche mit der Aussage, das aktuelle Planco-Gutachten „Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Binnenhäfen“ sei das beste Gutachten, das er bis dato gelesen habe. Die Ergebnisse seien für ihn Grundlage für eine zukünftige Investitionsstrategie in die Häfen und die sie bedienende Infrastruktur – dabei liefert das Gutachten aus Sicht der Wirtschaft keine Erkenntnisse über die Wettbewerbsfähigkeit, verfehlt sogar den Titel. Was ist passiert?

 

Mit der Erarbeitung eines Nationalen Hafenkonzepts für die See- und Binnenhäfen sind gemeinsame Anforderungen von Politik und Wirtschaft auch an das System Wasserstraße formuliert worden. „Anders als viele Beteiligten sieht das Bundesverkehrsministerium allerdings vordringlich die Stärkung des Seehafenstandortes Deutschland als Ziel“, formuliert Günter Haberland als Vorsitzender von Häfen und Wasserstraßen NRW. Der Spediteur bedauert, dass die Einzelwirtschaftlichkeit der Binnenhafenstandorte bisher keine Rolle spielte und die Vernetzung der NRW-Standorte mit den ZARA-Häfen zu wenig berücksichtigt wurde. Das Verhältnis der Politik zu den Binnenhafenstandorten verändert sich durch das Gutachten weiter.

 

Jetzt zählt nicht mal mehr die Überlegung, dass Binnenhäfen zunächst Standorte der regionalen Ver- und Entsorgung sowie der Industrieansiedlung sind“, kritisiert Friedrich Weege, Vorsitzender der Häfen NRW. Planco untersucht unter dem Stichwort „Wettbewerbsfähigkeit“ die Eignung weniger, ausgewählter Binnenhäfen als Hauptumschlagsbasis (HUB) für die Seehäfen. „Solche Überlegungen gab es bereits und sie führten zu keinem Ergebnis“, kritisiert Haberland. Insbesondere Rotterdam und Antwerpen haben ihre Wünsche diesbezüglich an die Binnenhäfen formuliert – Tenor: in den Binnenhäfen müssen Kapazitäten aufgebaut werden, um die Seehafenterminals zu entlasten. Dass dann wenig später Binnenschiffe wochenlang in beiden Häfen lagen und auf freie Krankapazität warten durften, während der Lkw laufend bedient wurde, wurde nicht thematisiert. Und die Frage, ob das Geschäft nicht in Konjunkturkrisen durch entsprechende Konditionen wieder in die Seehäfen zurückverlagert würde, wollte auch niemand beantworten.

 

Tatsache ist gleichermaßen: Vor der Finanz- und Wirtschaftskrise haben auch mehrere deutsche Seehafenbetriebe untersucht, welche Standorte im Seehafenhinterland für einen solche „Kooperation“ geeignet wären, um Funktionen aus den Seehäfen mit ihren teuren Flächen auszulagern. Mit der Krise sind jedwede dieser Strategien zurückgestellt worden, um zunächst die eigenen Flächen auszulasten.

 

Mit zum Rückzug beigetragen hat, dass wenige Binnenhafenstandorte eine Position der Abhängigkeit eingehen wollten, in der bei unüberschaubaren Flächenkosten wenig und in Abhängigkeit von den Bedarfen der Seehafenbetriebe sehr volatile Einnahmen zu generieren sind – es lohnt sich nicht.

Wertschöpfung generieren wir aus Ansiedlung, nicht aus einer HUB-Funktion“, betont Weege, der als Hafenchef in NRW die Frage der Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund stellt.

 

Das Land Nordrhein-Westfalen ist mit seiner Positionsbestimmung viel weiter, hat mit seinem Wasserstraßen- und Hafenkonzept den Grundstein gelegt, eine Strategie für die Häfen NRW zu erarbeiten. An den Wasserwegen Rhein, Dortmund Ems-, Datteln-Hamm-, Weser-Datteln-, Rhein-Herne- und der Weststrecke des Mittellandkanals sowie an Ruhr und Weser sind rund 120 Häfen verortet, die den Großteil des Schiffs-Warenumschlags in Deutschland generieren“, so Spediteur Haberland. Jede Tonne, die über Schiff und Bahn transportiert und in den Häfen umgeschlagen wird, entlastet Straße und Umwelt. „Bei einer HUB-Strategie passiert genau das Umgekehrte: das HUB muss wirtschaftlich ausgelastet werden, der Zu- und Nachlauf wird optimiert,  die Belieferung dazu nicht selten zurück auf den Lkw verlagert“.

 

Das kann weder der Ansatz der Betreiber noch der der Landesregierung sein, die unter dem Landes- und regionalpolitischen Aspekt die Fläche betrachten muss, um das Netz(werk) der Binnenhäfen darzustellen und dessen Funktionsfähigkeit sicherzustellen. „Der Trend geht dahin, diese Netz zu beschneiden“, befürchtet Haberland und verweist bespielhaft auf den Beschluss der Bayerischen Landesregierung, die Donau nicht logistisch zu erschließen. Ein Beispiel von vielen, mit überregionaler Wirkung, da Transporte erneut auf die Straße verlagert werden. Länder und Kommunen ziehen ihren Nutzen aus den Binnenhäfen als regionalen Wirtschaftsstandorten,  die gerade über die Wasserstraße  der Ver- und Entsorgung von Industrie, Handel und Logistik dienen.

NRW weiß um diese Leistungsfähigkeit seiner Häfen und wird sich im Dialog mit Berlin neu positionieren müssen. Offensichtlich muss dabei ganz von vorne angefangen werden, denn die Frage steht ab sofort im Raum: Weiß das BMVBS eigentlich, was ein Binnenhafen ist?

 

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