Kinder im Visier der Werbeindustrie

Wir sehen sie im Fernsehen, auf Litfaßsäulen, Plakatwänden, auf Autos, im Internet und selbst da, wo wir sie kaum erwarten: Die Werbung ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken.

 

Doch wenn wir Werbung sehen, sehen sie unsere Kinder auch. Und schon kann es zum Mittelpunkt der kindlichen Welt werden: Das coole Spielzeug aus der Comicwerbung, die bunte Schokolade, die im Supermarkt so köstlich aussieht oder das neue Trikot des Lieblingsvereins aus der letzten Halbzeitwerbepause. Dann ist sie plötzlich da, die Frage „Kaufst du mir das?“, die mit großen Kullerraugen gestellt, das Herz und das Portemonnaie öffnen soll.

 

Werbung bedient sich vieler Wege, um überall präsent zu sein und möglichst viele Menschen zu jeder Zeit zu erreichen. Doch wenn Schweini herzhaft in die Geflügelsalami beißt oder Barbie auf einem Plastikpony durch digitale Landschaften galoppiert, sind es besonders Kinder, die davon angesprochen werden sollen. Kinder verfügen in Deutschland über eine enorme Kaufkraft. Die Vier bis 13 jährigen können zusammen rund 5,8 Mrd. Euro ausgeben. Kein Wunder also, dass sie für die Werbung eine wichtige Zielgruppe darstellen.

 

Werbung ist erlebnisorientiert

Die Werbung ist heute mehr denn je erlebnisorientiert. Sie transportiert nur noch spärliche Sachinformationen, dafür aber umso mehr Emotionen. Dies beflügelt gerade Kinder, die in ihrer geistigen Entwicklung ebenfalls durch Erlebnisse und Emotionale Bestätigungen lernen, die Reklame für bare Münze zu nehmen. Solch ein Verhalten aber als kindlich abzutun und sich als rationaler Erwachsener, der mit Verstand auf Werbung reagiert, davon loszulösen, wäre falsch. Wie sonst ist zu erklären, dass ein neues Apple iPhone zu nächtlichen Schlangen vor den Kaufhäusern führt. Jüngsten Umfragen zufolge haben Kunden, die ein neues iPhone kauften, bereits ein älteres Modell besessen. „Älteres Modell“ ist dabei relativ: Selbst nach zwei Jahren ist ein iPhone noch immer ein innovatives High-Tech-Produkt. Viele müssen das neue Gerät trotzdem und ohne Notwendigkeit haben. Schöne neue schnelle Konsumwelt.

 

Ein Apple—Kunde bleibt meist ein Leben lang ein Apple-Kunde. Für Unternehmen ist es in vielen Fällen lukrativer, Konsumenten an sich zu binden, als neue Kunden zu generieren. Je jünger jemand zum Kunden wird, desto besser.
Kinder bilden Bindungen zu allem, was sie kennengelernt haben. Je öfter sie mit einem Ding oder einer Person positiven Kontakt hatten, desto stärker wird die Zuneigung dazu. So lieben es Kinder, dasselbe Buch immer und immer wieder vorgelesen zu bekommen, oder die gleichen Serien im Fernsehen zu schauen und mit denselben Freunden in die Schule zu gehen. Ähnlich kann es sich mit bestimmten Produkten verhalten. Je öfter sie mit einem Produkt oder einem Markennamen in Kontakt kommen, desto präsenter ist die Markenbindung.

 

Sportler sind perfekte Werbefiguren
Dazu kommt natürlich noch, wer für ein Produkt wirbt. Kinder sind immer auf der Suche nach Vorbildern, die viele von ihnen im Sport finden. So werden besonders prominente Sportler, die positive Attribute, wie Gesundheit, Siegeswille und Durchhaltevermögen symbolisieren, gerne und oft als Werbeträger herangezogen. Als Boris Becker 1985 Wimbledon gewann, löste das einen wahren Tennis-Boom aus. Unversehens wurde aus dem Spitzensportler eine Werbeikone. Auch Franzi van Almsick durfte durch ihre sportlichen Erfolge der Marke Opel behilflich sein, den Tigra als jung, hipp und sportlich zu vermarkten. Wie wichtig das passende Image ist, musste allerdings der Radsportler Jan Ullrich schmerzlich erfahren. Als Tour de France-Gewinner gefeiert und unversehens als Werbeträger eingesetzt, machte ihn der Doping-Skandal nicht nur im Sport sondern auch in der Werbung zu einer Persona non grata.

 

Kinder kaufen am liebsten Süßes
Kinder im Alter zwischen Sechs und 13 Jahren geben ihr Taschengeld am häufigsten für Süßigkeiten aus. An zweiter Stelle kommen Zeitschriften und Comics. Für Spielzeug, CDs oder Kleidung wird das eigene Sparschwein hingegen kaum geschlachtet. Dafür sollen lieber Mama und Papa aufkommen. Dadurch entscheidet oftmals aber nicht der Konsument über Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern dessen Erziehungsberechtigte. Das macht die Absicht von Werbung, nämlich: Aufmerksamkeit erzeugen, Interesse wecken, Verlangen generieren und eine Kaufabsicht auslösen, zu einem schwierigen Unterfangen. Hat die Reklame vielleicht das Kind überzeugt, so muss es nun immer noch seine Eltern zum Kauf bewegen.

 

In Deutschlands Medienwelt genießen Kinder besonderen Schutz, damit ihre Entwicklung nicht beeinträchtigt wird. Es gibt das Gesetzt gegen unlauteren Wettbewerb, den Rundfunkstaatsvertrag, den Jugendmedienstaatsvertrag und Selbstbeschränkungen von Medien- und Werbeindustrie. Noch immer liegt der Fernsehkonsum bei Kindern sehr hoch. Jedes dritte Kind zwischen sechs und 13 Jahren besitzt ein eigenes Fernsehgerät. Welche Sendungen sie sehen und vor allem, mit welcher Werbung sie konfrontiert werden, kann nur schwer festgestellt werden. So sind auch Eltern in der Pflicht, mit ihren Kindern über das Programm und die Werbung zu sprechen, damit sie nicht in eine Konsumfalle tappen können.

 

Wie sehr Kinder von Werbung dennoch beeinflusst werden können, zeigte ein Malwettbewerb in bayrischen Kindergärten. Dort wurden etwa 40.000 Bauernhof-Plakate zum Ausmalen verteilt. Ein Drittel der fertigen Bilder zeigten lila ausgemalte Kühe, wie sie die Kinder in der Milka-Werbung sehen konnten. Als Erwachsener mag man nun vielleicht mit dem Kopf schütteln, aber darf man doch niemals vergessen, dass man selbst einmal Kind gewesen ist und sich die Welt der Erwachsenen gründlich von der der Kinder unterscheidet. Im kindlichen Verstehen gibt es keine Unterschiede zwischen Realität und Medienrealität. Selbst vielen Erwachsenen fällt diese Unterscheidung schwer. Am Schluss sei daher allen Eltern ein Satz des Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der diesen bereits 1798 aufschrieb, ans Herz gelegt: “Die Kindheit hat ihre eigene Art und Weise, zu sehen, zu denken und zu fühlen. Es gibt nichts Dümmeres als den Versuch, der kindlichen Sichtweise die unsere aufzudrücken.“

 

Bildquelle: Fotolia #31500902

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