Gutachten lässt Zirkelschläge um „Störfallbetriebe“ in Minden schrumpfen

Minden. Mit einer komplizierten Materie wurden die Mitglieder des Ausschusses für Bauen, Umwelt und Verkehr am vergangenen Mittwoch, 6. Juli, konfrontiert. Nach einleitenden Worten des Beigeordneten für Städtebau und Feuerschutz stellte Dr. Eberhard Dachwitz vom TÜV-Nord das Abstandsgutachten nach KAS 18 („Störfallgutachten“) vor. Dieses hat die Stadt Minden im März 2014 in Auftrag gegeben. Hierbei geht es um die Reduzierung Achtungsabstände, die das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) für so genannte „Störfallbetriebe“ bestimmt hat. Grundlage für die gesetzliche Regelung ist Artikel 13 der sogenannten SEVESO-III-Richtlinie und § 50 des Bundesimmissionsschutzgesetzes.

 

„In Minden befinden sich fünf Industrie- und Gewerbebetriebe, die unter diese Regelung fallen und für die Achtungsabstände festgelegt wurden“, erläutert Lars Bursian in einem dem Ausschuss vorgeschalteten Pressegespräch. Diese wirken sich zum Beispiel auf geplante Neuansiedlungen und Bebauungspläne aus. Zielstellung für das beauftragte Gutachten war es, die bestimmten Achtungsabstände bei allen fünf Betrieben zu überprüfen und – wenn möglich – individuell kleinere, angemessene Abstände zu definieren. „Bei drei Betrieben ist dieses nach der nun erfolgten Detailprüfung und Bewertung gelungen“, so Bursian. Bei den übrigen beiden – das sind Agravis Raiffeisen und Drachen Propangas Minden – bleiben die Achtungsabstände unverändert.

 

Anhand von zwei nebeneinander liegenden Karten wird deutlich, dass der Zirkelschlag um das Chemie-Unternehmen Siegfried Pharmachemikalien GmbH (vorher BASF) und das Unternehmen Follmann GmbH und Co. KG im Gutachten deutlich kleiner ausfällt. Lag der Achtungsabstand um die Siegfried GmbH vor der Detailprüfung noch bei 1500 Metern, beträgt der angemessene Abstand jetzt nur noch 850 Meter. Und auch rund um das expandierende Familienunternehmen Follmann konnte der Radius deutlich von 500 auf 150 Meter verringert werden, erläutert Bursian und macht deutlich: „Wir hätten das Gutachten nicht beauftragen müssen, dann wäre alles so geblieben und das hätte deutlich weitreichendere Folgen für zukünftige Planungen gehabt“. Die Kosten von Höhe von 32.000 Euro seien gut angelegtes Geld.

 

Der von der Stadt Minden beauftragte TÜV-Nord – ein Spezialist für Abstandsgutachten nach Störfallrecht – hat derzeit viele solcher Prüfaufträge abzuarbeiten, erklärt Bursian die Dauer von rund zwei Jahren für das Mindener Gutachten. Die Fachleute ermitteln die Gefährdung, die von den produzierten oder gelagerten Chemikalien in einem Störfall ausgehen können, und legen danach gegebenenfalls neue Abstände fest, die vom LANUV in Abstimmungen mit den jeweiligen Bezirksregierungen ohne Detailprüfung definiert wurden. „Uns war es wichtig, dieses von zertifizierten Fachleuten noch einmal genau untersuchen zu lassen, weil die definierten Achtungsabstände die Stadt in ihren städtebaulichen Planungen erheblich einschränken“, erklärt Bursian.

 

Jede größere Planung und jeder Bauantrag, die sich auf Grundstück innerhalb der Abstands-Kreise um die betroffenen Firmen beziehen, müsse in Bezug auf die Abstandsproblematik von der Baugenehmigungsbehörde gesondert abgewogen werden. Für Eigenheimbesitzer, die einen Anbau planen, eine Garage bauen wollen oder das Dachgeschoss künftig als Wohnraum nutzen wollen, werde die so genannte SEVESO III-Richtlinie keine weiteren Auswirkungen haben, stellt Bursian heraus. Auch Lückenbebauungen seien weiter möglich. Wohl aber könne kein Baumarkt mehr auf dem ehemaligen Glashütten-Gelände angesiedelt, nennt er ein Beispiel, das voraussichtlich zu einer Ablehnung des Vorhabens führen würde.

 

Auch würde die Planung eines größeren Wohngebietes oder einer neuen Schule innerhalb der definierten Abstandsbereiche als zusätzliches Gefährdungspotenzial gewertet. Angesprochen auf die Gefahren, die von den fünf betroffenen Betrieben ausgehen können, antwortet Bursian: „Das Risiko kann man trotz extrem hoher Sicherheitsbestimmungen, die in der Bundesrepublik gelten, nie auf Null fahren“. In den vergangenen Jahrzehnten habe es keine Störfälle in Minden, die die Bevölkerung betroffen hätten, gegeben.

 

„Alle Erweiterungen oder Neuansiedlungen von Gewerbe- oder Industriebetrieben in den Abstandsflächen fallen nicht unter die SEVESO III-Richtlinie“, erläutert Steffen Wilhelmi aus dem Bereich Stadtplanung. Grundsätzlich ist es so, dass alle Chemiebetriebe sehr strengen Sicherheitsvorschriften unterliegen, für die die Bezirksregierung zuständig ist. Auch hätten die Unternehmen nach Bundesimmissionsschutzgesetz eine Aufklärungs- und Informationspflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die innerhalb der definierten Abstandsflächen liegen. Zuletzt hatte zum Beispiel die Firma Follman zur Vorstellung eines Bauvorhabens die Bürgerschaft eingeladen und transparent über das Bauvorhaben informiert.

 

Der Ausschuss für Bauen, Umwelt und Verkehr hat das vorgelegte Gutachten am Mittwochabend positiv zur Kenntnis genommen. Dieses wird nun nach Abschluss an die Bezirksregierung Detmold geschickt. Abschließend wird das LANUV die beiden neu definierten angemessenen Abstände in die vorhandenen Daten und Karten einpflegen.

 

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Bildquelle: Pressestelle Stadt Minden
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