Petershagen: Was der Krieg nicht geschafft hat, schaffen die Petershäger selbst. Seit den 60ziger Jahren wurde radikal der bisher unversehrte Fachwerkbestand der Stadt abgerissen. Fast jedes Haus war bis dahin noch ein Fachwerkgebäude und wer aus der Zeit noch Erinnerung hatte, wußte, das waren echte Postkartenmotive, das war ein Gefühl wie in Rothenburg ob der Tauber. Kein Jahr vergeht in dieser Stadt, wo nicht eine Fachwerkfassade oder anderes Historisches fällt, verbaut oder verunstaltet wird.
Abrisse statt Sanierung
Seit Jahrzehnten wurde eine Gestaltungssatzung und ein Stadtentwicklungskonzept gefordert. Als nun im letzten Jahr durch den Rat eine Gestaltungssatzung endlich beschlossen wurde, war gleich mit dem ersten Bauvorhaben der Verstoß gegen diese Satzung beim Bau der neuen Schulmensa eingeplant. Man wüßte, dass der Neubau gegen die Satzung verstößt, dass würde man in Kauf nehmen, war die politische Entscheidung. Welch ein Vorbild für den Bürger.
Andere Städte andere Modelle
Dabei planen andere Städte, den alten Baubestand sogar wieder herzustellen, wie jetzt Hannover das ehemalige Schloss wieder errichten will, Dresden seine Frauenkirche wieder aufgebaut hat und andere Städte ebenso verfahren sind, um die alten Bausünden zu beseitigen. Die Stadt Münster war nach dem Krieg zu über 80% zerstört. Nach den alten Bauplänen und mit dem alten Material wurden die historischen Gebäude wieder hergestellt und die Stadt ist heute eine begehrte Touristen- und Wohnstadt.
Anders in Petershagen. Hier wird sehr viel von dem, was der Stadt ein Gesicht gibt, vernichtet und verändert die Stadt zu einem Neubau- und Gewerbegebiet, wie es schon teiweise rund um den Kreisel passiert ist. Nun soll weiterer Gebäudebestand fallen. Somit wären dann über 100 m alter Bestand rechts und links der westlichen Hauptstraße verschwunden.
Baukunst
„Jede Stadt hat ihre eigene Geschichte – und Bauten, die ihr ein Gesicht geben. Dies zu erkennen ist die Kunst der großen Baumeister.“ Petershagen möchte Tourismus in die Stadt holen, ein Kerngeschäft sozusagen, doch was sollen die Gäste hier sehen? Einen neuen E-Neukauf, häßliche Neubauten, Zweckbauten, die es überall gibt? Wer den alten Meridian – Stich von Petershagen je gesehen hat, muss sich doch fragen, wo sind alle diese dort dargestellten Gebäude geblieben? Welch eine imposante und wichtige Stadt können wir da erkennen! Wo ist die Geschichte geblieben, die historische Bedeutung und Größe, die sich nur noch als Fragment im alten Schloss wiederfindet.
Stadt zum Wohnen und Leben
Wofür soll eine Stadt überhaupt da sein? Für die Bürger, die dort wohnen oder für Großmärkte und Autoverkehr? Der Handel kommt zu den Menschen, dorthin wo sie wohnen. Er soll für die Menschen da sein nicht umgekehrt. Wenn sie wegziehen, ist der Handel tot, man sieht es am Land. Es leert sich und kein Laden kann überleben, was den Wegzug beschleunigt. Seht nach Minden, die Bürger verlassen die Innenstadt weil dort alles verfällt. Die kleinen Läden schließen, weil die Magneten, der Großflächige Einzelhandel, die Kleinen aufsaugt, wie z.B. der Staubsauger Hagemeyer, bis er sich selbst verschluckt. Früher gab es in allen Vierteln viele kleine Lebensmittelläden, weil es auch viele Bewohner gab.
Was wollen die Touristen in der Stadt, was die Bewohner? Kleinteilige Einkaufsmöglichkeiten, schönes Umfeld wie schöne Gebäude oder lieber Zweckbauten? Warum verlassen die Bürger die Innenstadt und ziehen in die Peripherie? Viele Städte haben das erkannt und steuern dagegen, machen die Innenstädte attraktiv, durch Sanierung, durch Rekonstruktion und Unterstützung des kleinteiligen Gewerbes, nicht durch Abriss.
Der Wert einer Stadt
Was ist der Wert einer Stadt, in der wir wohnen wollen? Sind es gesichtslose Zweckbauten oder romantische Städte mit moderner Nutzung, Kultur und Ambiente. Ist Größe alles oder ist die Beschränkung auf das Wesentliche nicht die eigentliche Qualität?
Warum kann es nicht ein Metallzahn sein, der eine Baulücke im Gebiss ersetzt? Warum legen wir gerade dort so viel Wert auf eine gut angepasste Lückenschließung. Das Gesicht einer Stadt aber wird mit billigen Lückenfüllern versehen, ganz auf Zweckmäßigkeit getrimmt.
Es muss sich rechnen, sagt der Investor Röthemeyer. Das stimmt, aber auch für die Stadt und die Bewohner, die dort wohnen, leben und nicht nur sich zweckmäßig mit Lebensmitteln eindecken wollen. Ein Markt in der Fläche ist was anderes als in der Stadt. Draußen wird nur abgeholt, da zählt nur die Zweckmäßigkeit. Man bleibt nur so lange wie unbedingt nötig. Aber so soll doch nicht eine Stadt aussehen, in der wir auch leben wollen.
Stadtqualität ist Immobilienwert
Auch wirtschaftlich betrachtet müßte jeder Bürger mit Immobilienbesitz aufschreien, wenn die Stadt so zerstört wird. Dann wenn die Gäste nicht mehr sagen, die Stadt ist doch noch ganz schön. Dann nämlich, wenn die Immobilienpreise noch mehr in den Keller gehen, bis zur Unbewohnbarkeit und Verfall. Dann werden alle Immobilienbesitzer feststellen, dass ihr Vermögen sich verflüchtigt hat, während eine Sanierung der Stadt und der Gebäude den Wert steigern würde. Warum fahren die Touristen nach Rothenburg ob der Tauber, nach Freiburg, nach Tübingen und nicht nach Petershagen? Die Antwort auf diese Fragen ist der Schlüssel für eine positive Zukunft.
Die Verhinderung der Zerstörung der Innenstädte, die Erhaltung der Kleinteiligkeit, die Fußläufigkeit und Verlagerung des Verkehrs, das Nebeneinander von Wohnen, Gastronomie und Einkaufen wurde dort gewahrt, indem konsequent der Denkmalschutz, die Stadtgestaltung, die Verhinderung von Abriss eingehalten wurde.
Politische Sichtweisen zum Gebäudeabriss
Huculvi-Nachrichten hat die Politik gefragt, was sie von den Plänen für den Abriss hält.
FDP und SPD haben sich überhaupt nicht geäußert, der Bürgermeisterkandidat der SPD, Ingo Ellerkamp, hätte gerne darüber ein Gespräch geführt, hat aber die Fragen nicht beantwortet und die CDU sieht sich nicht in der Lage innerhalb einer Woche zu diesem Bauprojekt eine Stellungnahme abzugeben, denn „um nun diese Fragen beantworten zu können müsste die CDU-Fraktion erst einmal tagen um sich mit dem Thema zu befassen.“ Immerhin bietet der Fraktionsvorsitzende Schröder an, „ich werde dann später über die Meinung der Fraktion berichten.(…) bisher ist mir aber auch der Fraktion darüber wenig bekannt.“ Dabei war das Thema bereits im Interfraktionellen Kreis, zu dem der Verwaltungsvorstand und die Fraktionsvorsitzende aller Parteien gehören, behandelt worden, berichtete der Investor Röthemeyer.
Bauvoranfrage liegt vorSeit über 8 Wochen liegt die Bauvoranfrage vor. Auch wurden die zum Abriss bestimmten Gebäude längst gekauft und es wäre doch kaufmännisch kaum nachvollziehbar, wenn ein Profi wie Herr Röthemeyer solche Risikokosten auf sich nimmt ohne eine konkrete Zusage von der Politik und Verwaltung erhalten zu haben.
Kein Einsichtsrecht bei entscheidungserheblichen Grundlagen
Der Bürgermeisterkandidat der CDU, Dieter Blume, der auch gleichzeitig seit ca. zwei Jahren 1. Beigeordneter in der Stadt Petershagen ist, sieht das Vorhaben „als Gewinn in der Funktion einer ortsnahen Versorgung für die Bürgerinnen und Bürger in Petershagen“. Hinsichtlich der Größenordnung und stadtplanerischer Anforderungen bezieht er sich auf das beauftragte Gutachten. Beim Einsichtsrecht sieht er aber wesentliche Einschränkungen: „Allerdings gilt das dann nicht, wenn wie in diesem Fall entscheidungserhebliche Grundlagen in Vorbereitung sind.“ Nach Auskunft durch einen Anwalt: Rechtlich fragwürdig und kaum haltbar. Das Einsichtsrecht hat ja gerade den Sinn, frühzeitig Einfluss auf das Verfahren zu nehmen und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Nur die Einsicht gibt dem Bürger die Möglichkeit, sich in das Verfahren einzubringen und evtl. etwas dagegen zu unternehmen.
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