Berlin. Unter allen 28 EU-Staaten weist Deutschland die zweithöchste Belastung des Grundwassers durch Nitrat auf. Nur Malta hat mehr Nitrat im Grundwasser als Deutschland. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert das seit über 25 Jahre bestehende Versagen der deutschen Politik und fordert den Schutz des durch die industrielle Landwirtschaft belasteten Grund- und Trinkwassers.
Um die Politik zum Handeln zu zwingen, hat die DUH am 31. Mai 2018 Klage gegen die Bundesrepublik, vertreten durch das Bundeslandwirtschaftsministerium, beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht (Aktenzeichen OVG 11 A 1. 18).
Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2018 wurde die Klage nun ausführlich begründet. Die Klage richtet sich gegen das 2017 novellierte, aktuell geltende „Nationale Aktionsprogramm zum Schutz von Gewässern vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen“. Deutschland ist verpflichtet, ein solches Aktionsprogramm aufzustellen und hat dies auf der Basis von Paragraph 3a des Düngesetzes (DüngeG) durch verschiedene gesetzliche Regelungen im Düngerecht getan. Nach Ansicht der DUH ist das geltende Düngerecht aber auch nach der Novelle ungeeignet, die zu hohe Nitratbelastung des Grundwassers und der Gewässer so weit zu reduzieren, dass die Ziele der Nitrat-Richtlinie 91/676/EWG eingehalten werden.
So wird der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter auch nach dem letzten Nitratbericht der Bundesregierung von 2016 immer noch an knapp einem Drittel der Messstationen teilweise deutlich überschritten. Durch die im Jahr 2017 geänderten gesetzlichen Regelungen ist mit keiner durchgreifenden Änderung dieses Zustands zu rechnen. Ziel der Klage ist es, so schnell wie möglich einen rechtmäßigen Zustand zu schaffen. Dazu bedarf es einer Überarbeitung des nationalen Aktionsprogramms und damit des deutschen Düngerechts.
„Wir haben uns entschlossen, nach der ‚Sauberen Luft‘ auch das ‚Saubere Wasser‘ auf dem Klageweg durchzusetzen. Die DUH setzt sich seit ihrer Gründung für saubere Luft und sauberes Wasser ein. Das Beispiel Luftreinhaltung und die von der DUH gewählte Klagestrategie zeigen eindrucksvoll, dass die notwendigen Schritte zur Durchsetzung der Luftqualitätsgrenzwerte nur gerichtlich erzwungen werden können. Während Deutschland vor der Kanzlerschaft von Angela Merkel ein Vorbild für andere Staaten im Umweltschutz war und regelmäßig die EU-Normen übererfüllt hat, laufen heute gegen kaum einen anderen EU-Staat so viele Vertragsverletzungsverfahren wegen des Verstoßes gegen EU-Vorschriften wie gegen Deutschland“, so Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen Deutschland vom 21. Juni 2018 wegen unzureichender Umsetzung der Nitrat-Richtlinie dokumentiert die jahrzehntelangen Versäumnisse der deutschen Agrarpolitik. „Die deutsche Agrarpolitik hat auf Intensivierung der industriellen Tierhaltung statt auf eine flächengebundene naturnahe Landwirtschaft gesetzt. Zu den dramatischen Folgen gehören der massiv gestiegene Eintrag von Stickstoff aus Düngung, Gülle und Massentierhaltung in Grund- und Oberflächengewässer. Die Konsequenzen sind die Schließung von Brunnen zur Trinkwassergewinnung, ein ständig steigender technischer und finanzieller Aufwand zur Trinkwasseraufbereitung und die Überdüngung sensibler Ökosysteme wie Seen, Flüsse und Küstengewässer“, so Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Bei einer zu hohen Aufnahme von Nitrat über das Trinkwasser kann sich im Körper gesundheitsgefährdendes Nitrit bilden. Bei Kleinkindern und Säuglingen kann dies zu einer Verminderung der Sauerstofftransportkapazität und damit zur lebensgefährdenden sogenannten Blausucht führen.
Das Urteil des EuGH bestätigt, dass Deutschland seinen Verpflichtungen zur Nitratminderung nicht gerecht wird. Aus prozessrechtlichen Gründen konnte der Gerichtshof aber nur die bis zum Jahr 2014 geltende Rechtslage berücksichtigen. Mit der Änderung des Düngerechts im Jahr 2017 versichert das Bundeslandwirtschaftsministerium gegenüber der EU, alle Maßnahmen ergriffen zu haben, welche nunmehr zu einem rechtskonformen Zustand führen. Die DUH kritisiert jedoch, dass die geänderte Gesetzgebung zahlreiche Ausnahmen enthält, so dass die europarechtlichen Vorgaben der Nitrat-Richtlinie 91/676/EWG zum Trink- und Grundwasserschutz auch weiterhin nicht eingehalten werden.
„Auch das novellierte Recht bringt keinen rechtskonformen Zustand. So wird der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter über unabsehbare Zeit nicht an allen deutschen Messstationen eingehalten. Ebenso wird die erhebliche Eutrophierung unserer Gewässer nicht beseitigt. Das neue Düngerecht wird keine Verbesserungen bringen. Selbst viele durch das EU-Recht vorgesehenen Mindestanforderungen sind im novellierten Düngerecht immer noch nicht umgesetzt“, sagt Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in der Klage vertritt. „Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Luftqualitäts- und Gewässerschutzrecht haben die Ziele der Nitratrichtlinie nicht bloß programmatischen Charakter, sondern stellen strikte Ergebnisverpflichtungen dar, die den Mitgliedsstaaten keinerlei Umsetzungsermessen verleihen. Diese Ziele werden in Deutschland auch mehr als 25 Jahre nach Inkrafttreten der Nitratrichtlinie verfehlt“, so Klinger weiter. An 27,7 Prozent der Messstellen an landwirtschaftlichen Einzugsgebieten wird der Nitrat-Grenzwert auch nach dem letzten Nitratbericht der Bundesregierung von 2016 überschritten. Die Bevölkerung muss erneut Mehrkosten tragen: für Subventionen in eine industrielle Landwirtschaft, steigende Wasserkosten für die Trinkwasseraufbereitung sowie gegebenenfalls sogar noch Strafzahlungen an die EU.
Hintergrund:
Das Grund- und Oberflächenwasser in Deutschland ist zu stark mit Nitrat belastet. Hauptursache hierfür ist die stickstoffhaltige Düngung in der Landwirtschaft. Neben Mineraldünger werden Gülle aus Mastställen oder Biogasanlagen auf den Feldern ausgebracht. Durch unzureichende Pufferzonen gelangen diese in die Oberflächengewässer. Die ökologischen Folgen: trübes Wasser, übermäßiges Algenwachstum und Sauerstoffmangel, welches dann zu Fischsterben führt. Der Stickstoffgehalt auf den Ackerflächen übersteigt die Aufnahmefähigkeit der Pflanzen und Böden, sodass Nitrat auch ins Grundwasser versickert.
Die Nitrat-Richtlinie 91/676/EG bestimmt in ihrem Anhang I, dass Grundwasser verunreinigt ist, wenn es mehr als 50 Milligramm Nitrat pro Liter enthält. Dieser Wert gilt einheitlich im EU-recht, so auch in der EU-Grundwasserrichtlinie 2006/118/EG (GWRL). Die europaweit einheitlich festgelegte Qualitätsnorm von 50 Milligramm Nitrat pro Liter wurde in der deutschen Grundwasserverordnung (GrwV) als Schwellenwert in derselben Höhe verankert. Diese Grenzwerte hält Deutschland jedoch schon seit 25 Jahren nicht ein. An Messstellen, in deren Einzugsgebiet viele landwirtschaftliche Nutzungen vorkommen, überschreiten circa 28 Prozent der Messstellen den Grenzwert für Nitrat (Nitratbericht 2016). Auch bei der Bewertung des Grundwasserzustands nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie/GWRL sind 27,1 Prozent der 1200 deutschen Grundwasserkörper in einem schlechten chemischen Zustand.
Die Trinkwasserfilterung wird in naher Zukunft an ihre Grenzen kommen und teure technische Lösungen erfordern. Die hohe Nitratbelastung hat auch Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. Fast die Hälfte der Pflanzenarten der „Roten Liste“ ist durch erhöhte Nährstoffeinträge gefährdet. Die hohen Nährstoffeinträge verändern die Artenzusammensetzung zugunsten nährstoffliebender Pflanzen. In Folge dessen kommt es zu einer Vereinheitlichung der Vegetation und dem Verlust von Lebensräumen und Nahrungsangeboten. Aus diesen Gründen muss die Nitratbelastung konsequent reduziert werden. Besonders für die Regionen mit einer hohen Viehdichte müssen zügig schärfere Vorgaben formuliert werden. Zu den Maßnahmen gehören stärkere zeitliche Begrenzungen sowie eine Obergrenze für die Düngung von 130 Kilogramm pro Hektar (bisher 170 Kilogramm pro Hektar), strengere Regeln zur Kontrolle der Landwirte bei der Ausgabe und dem Ausbringen von Dünger, kürzere Einarbeitungsfristen für Wirtschaftsdünger, ein flächenabhängiger Viehbesatz sowie die Einrichtung von mindestens fünf Meter breiten Pufferstreifen zu Gewässern.