Minden. Welche Wohnungen fehlen in Minden? Was kann die Stadt gegen knapper werdenden Wohnraum unternehmen? Was tun die großen Aktiven auf dem Wohnungsmarkt und die privaten Vermieter? Diese drei Fragen, aber auch Angebot und Nachfrage, Quartiersentwicklung und alternative Wohnformen, wie Senioren-WGs, kamen beim jüngsten Forum „Bezahlbarer Wohnraum in Minden“ zur Sprache. Rund 100 Gäste aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Interessenvertretern und sachkundigen Bürgern verfolgten die regen Diskussionen und brachten sich auch aktiv ein. Zu der Veranstaltung Ende Februar im Festsaal des Mutterhauses der Diakonie Stiftung Salem hatte das 2017 aus dem Handlungskonzept Wohnen heraus gegründete „Bündnis für Wohnen“, dem auch die Stadt Minden angehört, eingeladen.
Zwei Jahre nach der Verabschiedung des „Handlungskonzeptes Wohnen“ hat sich in Minden einiges getan. Das wurde an diesem Abend deutlich. So wurden mehrere neue Baugebiete ausgewiesen oder sind in Planung, für die die Stadt zum Teil Grunderwerb getätigt und Vorgaben für Investoren entwickelt hat. So wird zum Beispiel auf einer Fläche in Dützen (ehemalige Grundschule) und auch im Gebiet „Am Grundbach“ (im Stadtbezirk Königstor) Wert auf den Bau von bezahlbaren Wohnungen, auf integratives, altengerechtes und auf barrierefreies Wohnen gelegt.
„Interessenbekundungsverfahren bieten Möglichkeiten, Einfluss auf die Entstehung von Wohnraum zu nehmen“, antwortete Lars Bursian, Beigeordneter für Städtebau und Feuerschutz, auf die Frage von Moderator Jörg Heeren (Bielefeld), was denn eine Stadt, die keine eigene Wohnungsbaugesellschaft mehr hat (2006 verkauft), machen und steuern kann. In insgesamt drei der vorgestellten neuen Baugebiete können geschätzt mehr als 250 neue Wohneinheiten entstehen – davon ein Potential von mindestens 170 Wohneinheiten für barrierefreie Mehrfamilienhäuser.
Dieses entspricht einer der Zielrichtungen des Handlungskonzeptes Wohnen, welches der Rat auf Vorschlag der Verwaltung im Februar 2017 als städtebauliches Entwicklungskonzept beschlossen hat. Das allein reiche aber bei Weitem nicht aus, so Bursian. „Wir müssen uns als Gesellschaft auf den Weg machen und auch auf andere Bereiche außerhalb des reinen Wohnens blicken.“ Als Beispiele nannte er eine verbesserte Infrastruktur, E-Mobilität, Klimaschutz, Car-Sharing und ökologisches Bauen.
In einer „Fish-Bowl-Runde“ mit den Mitgliedern des „Bündnisses für Wohnen“ und Experte Hans-Jörg Schmidt (Aufbaugemeinschaft Espelkamp GmbH) ging es um den bedarfsgerechten Neubau von Wohnungen, aber auch um Umbau und Sanierung. So berichtete Eugen Pankratz, Geschäftsführer der Wohnhaus GmbH, dass in einem Projekt der Gesellschaft größere Wohnungen geteilt wurden und so rund 150 kleinere Einheiten von durchschnittlich 30 Quadratmetern entstanden sind, die sehr gut vermarktbar seien. Immer wieder kristallisierte sich in der Diskussion heraus, dass vor allem kleinere Wohnungen für Singles, Studenten, getrennt Lebende und alleinstehende ältere Menschen, die ihre großen Wohnungen oder Häuser aufgeben möchten, „händeringend gesucht“ werden.
Rar seien auch barrierefreie, günstige Wohnungen, weiß Jochen Rogmann, Geschäftsführer des Vereins Lebenshilfe, der Menschen mit Behinderungen vertritt und betreut. Viele Menschen mit Handicap suchen mit dem Erreichen des Erwachsenenalters eine Wohnung oder kleine Wohngemeinschaft. Die Lebenshilfe baut selbst derzeit acht Wohnungen in der Schillerstraße. Aber auch bezahlbare Wohnungen für Menschen, die von staatlichen Leistungen abhängig seien oder die nur eine kleine Rente beziehen, werden in Minden deutlich knapper. Das merkte der Vorsitzende des Mietervereins Minden und Umgebung, Thorsten Bornemann, in der Diskussionsrunde an. „Betroffen von einem geringen Angebot derzeit seien auch Familien mit kleineren Kindern, die oft schwer eine passende Wohnung finden“, so Bornemann weiter. Zunehmend mehr Mieter*innen seien auch von Eigenbedarfskündigungen betroffen, weiß der Rechtsanwalt.
Knapp werden in Minden auch Immobilien, die zum Verkauf stehen – vor allem Einfamilien- und Reihenhäuser. „Die sind seit 2010 um durchschnittlich 100.000 Euro teurer geworden“, sagt Beigeordneter Lars Bursian. Teuer ist insgesamt auch das Bauen geworden – nicht nur für die privaten Bauherrinnen und Bauherren. Hier gebe es von Jahr zu Jahr immer noch Preissteigerungen und Engpässe bei den sehr gefragten Handwerksbetrieben. Dadurch dauern Baumaßnahmen deutlich länger, was auch die privaten Eigentümer*innen zu spüren bekommen, wie Thorsten Post, Geschäftsführer von Haus + Grund Minden, berichtet. Er vertritt rund 3.500 Vermieter*innen. Betroffen von Preissteigerungen im Baugewerbe sind auch die größeren Gesellschaften wie Wohnhaus und GSW (Genossenschaft für Siedlungsbau und Wohnen in Minden).
Die GSW verfolgt ein gemischtes Konzept aus Unterhaltung, energetischer Sanierung, Verbesserung von Barrierefreiheit (zum Beispiel mit Treppenliften), Abriss und Neubau auf eigenen Grundstücken, aber auch auf Neubau, zum Beispiel im Gebiet „Am Grundbach“. GSW-Vorstand Bernd Hausmann weiß, dass die Menschen gerne in ihrem Quartier bleiben, deshalb stelle die Genossenschaft nach einer Befragung und Beteiligung ihrer Mitglieder bei Um- und Neubauten vor allem eine bedarfsgerechte Modernisierung ihres Wohnungsbestandes sicher. Hausmann verweist auf die immer noch günstige Durchschnittsmiete in den GSW-Wohnungen von 5,11 Euro. Oft sei es nicht einfach, die Wünsche der Mieter und freie Wohnungen zusammenzubringen, ergänzt GSW-Prokurist Oliver Matecki.
Auf bedarfsgerechtes „Wohnen im Quartier“ setzt die Diakonie Stiftung Salem. Sie hat im Baugebiet „Alte Grundschule Dützen“ nach einem Interessenbekundungsverfahren den Zuschlag für ein integratives Wohnprojekt erhalten. Ebenerdig und barrierefrei sollen 24 Appartements (2 Wohnungen mit je 12 Einzelzimmern) mit Gemeinschaftsräumen für Seniorinnen und Senioren entstehen. Im ersten OG sind 9 kleine, barrierearme Wohnungen – mit der Möglichkeit einer ambulanten Betreuung bei Bedarf – geplant.
Ein zweites Projekt ist im Baugebiet „Am Grundbach“ vorgesehen. Hier sollen – neben klassischen Ein- und Zweifamilienhäusern – auch Möglichkeiten für altengerechtes Wohnen und Leben geschaffen werden. „Die Diakonie Stiftung Salem plant dieses Projekt zusammen mit der GSW“, berichtet Kaufmännischer Vorstand Christian Schultz. Für ältere Bewohner im Gebiet ergebe sich so die Möglichkeit, ihr Einfamilienhaus gegen eine altengerechte Wohnung vor Ort zu tauschen.
In die „Fish-Bowl-Runde“ durften sich ausdrücklich auch die geladenen Gäste einbringen, wovon drei politisch aktive Bürgerinnen auch Gebrauch machten. Sie brachten den Mangel an bezahlbaren Wohnungen für Menschen, die Transferleistungen beziehen, sowie die Möglichkeit, Grundstücke auf der Grundlage von Erbpacht zu bebauen, und das Thema der gestiegenen Mietnebenkosten ins Gespräch.
In Minden insgesamt liegt der Durchschnittspreis für Mieten in Wohnungen bis 80 Quadratmeter bei 5,80 Euro und in Wohnungen bis 120 Quadratmetern bei 5,40 Euro. Das sei im Vergleich zu Bielefeld (Durchschnitt 6,70 Euro) und Paderborn (7/7,20 Euro) immer noch preiswert, weiß Lars Bursian. Er rechnet mit der Neuaufstellung des qualifizierten Mietspiegels für 2020 aber mit höheren Werten.
Fachmann Hans-Jörg Schmidt brachte noch eine Faustformel zur Berechnung der Mietkosten-Belastung ins Spiel. Danach müssen Millionen Haushalte – vor allem in Großstädten – mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Nettokalt-Miete ausgeben – für Experten eine kritische Schwelle. Im Kreis Minden-Lübbecke betrage dieser Wert lediglich 16 Prozent, so Schmidt, der sich in der Schlussrunde zufrieden mit den Inhalten und der Diskussion zeigte. Die Veranstaltung habe dazu beigetragen, „die Probleme zu schärfen“. Vieles sei in Minden schon auf „einem guten Weg“, so der Experte.
Eines wurde aus den Diskussionen mit allen Teilnehmern deutlich: Zeit- und zukunftsgemäßer Wohnungsbau ist ein vielschichtiges und auch emotional bewegendes Thema, für dessen Gelingen es nicht nur die eine Lösung gibt, sondern an vielen Stellschrauben geplant und dann auch entschieden werden muss.