Erfolgreiches Projekt der Bildungsplanung überwindet Grenzen in multiprofessioneller Zusammenarbeit

Von links: Cornelia Lippegaus, Marianne Rötker, Philipp Knappmeyer und Bettina Krachudel

Minden. Rund 70 Fachkräfte in einem wichtigen Themenfeld fortgebildet, ausschließlich positive Resonanzen „geerntet“ und eine fünfstellige Summe investiert. Und niemand – bis auf die Beteiligten – kennt die Fortbildung „Kinder und Jugendliche in ihren Realitäten wahrnehmen, verstehen und stärken“. Was bislang erfolgreich „im Stillen“ lief, soll nun in die Öffentlichkeit. Das meinen Bettina Krachudel von der Günther + Rita Rudloff-Stiftung, Philipp Knappmeyer, Bildungsplaner der Stadt Minden, Diplom-Heilpädagogin Cornelia Lippegaus und Diplom-Psychologin Marianne Rötker, die jetzt zu einem Gespräch im Rathaus zusammenkamen. Anlass dafür, „das Projekt einmal vorzustellen“, bot ein am 9. Juni gelaufener Fachtag für pädagogische Fachkräfte im Erziehungs- und Sozialdienst.

„Im Kern geht es um den pädagogischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die aus unterschiedlichen Gründen traumatisch belastet sind“, erläutert Cornelia Lippegaus, eine der beiden die Referentinnen des Fachtags. „Traumapädagogik ist schon länger ein Thema für die Stiftung“, berichtet Bettina Krachudel von der Rudloff-Stiftung, die im Schwerpunkt Bildungsprojekte in Minden fördert. Im Fall der seit Herbst 2015 angebotenen, viertägigen Fortbildung sei das Engagement nicht mittels eines Förderantrags an die Stiftung, was der „normale Weg“ sei, sondern vorrangig aus eigenem Antrieb und durch einen vorhandenen Kontakt zu Cornelia Lippegaus entstanden.

Die Flüchtlingssituation im Jahr 2015 gab den eigentlichen Impuls für die Projektentwicklung. „Wie und wo können wir uns mit unseren Fähigkeiten in der Flüchtlingshilfe hier vor Ort in Minden einbringen?“, diese Frage beschäftigte Cornelia Lippegaus und Marianne Rötker zu dieser Zeit. Gemeinsam mit der Rudloff-Stiftung wurden Ansätze für kooperative Zusammenarbeit gesucht. In einem ersten Schritt zeigten die Referentinnen dann auch für Vertreter*innen weiterer Stiftungen aus OWL mögliche Fortbildungsinhalte und –formate zum Thema Traumapädagogik auf. Daraus seien dann zunächst über das städtische Jugendamt und anschließend über die Bildungsplanung Kontakte geknüpft worden sowie schließlich das Fortbildungs-Projekt in Minden entstanden, berichtet Bettina Krachudel.

„Wir haben das Projekt gemeinsam weiterentwickelt und es wird dynamisch bleiben“, erläutert Philipp Knappmeyer vom Fachbereich Bildung, Kultur, Freizeit und Sport. Genau hier sehen alle Beteiligten die Stärke des Projektes. Doch nicht nur die kontinuierliche Weiterentwicklung wird als positiver Aspekt angesehen. Als Mindener Bürger*innen vor Ort etwas zu bewegen und dabei gleichzeitig persönliches Engagement und Fachlichkeit zu verbinden – das ist das Besondere für die beiden Referentinnen.

Zunächst standen die „traumapädagogischen Hilfen für Kinder mit Erfahrungen von Krieg und Flucht“ im Fokus, in den laufenden Seminaren ist der Schwerpunkt breiter gefasst. Aktuell wurde die Fortbildung unter den neuen Titel „Kinder und Jugendliche in ihren Realitäten wahrnehmen, verstehen und stärken“ gestellt. Waren es am Anfang zumeist Erzieher*innen in Kitas, die an den bislang fünf Fortbildungen teilnahmen, sei der Kreis nun deutlich breiter gefasst, so Knappmeyer. Teilgenommen haben bislang auch Lehrer*innen, Fachkräfte aus dem Offenen Ganztag, Sozialpädagogen und -arbeiter*innen, Mitarbeiter*innen in der Flüchtlingsarbeit sowie Mitarbeiter*innen in Jugendhäusern und Bildungseinrichtungen.

In den viertägigen Fortbildungen – 2017 gibt es drei Blöcke – werden in den ersten drei Seminartagen Grundkenntnisse zu den Themen Bindung und Trauma vermittelt, aber auch traumapädagogische Handlungsansätze vorgestellt, die Kindern in der Praxis Schutz und Sicherheit geben sollen, so Diplom-Heilpädagogin und Traumapädagogin Cornelia Lippegaus. Der vierte Tag ist losgelöst vom eigentlichen Seminarblock und bietet die Möglichkeit, die Umsetzung der Inhalte in die pädagogische Praxis zu reflektieren sowie an Fallbeispielen zu arbeiten. Die Teilnehmer*innen-Zahl ist auf 15 begrenzt. Bis Ende 2017 werden dann rund 100 Fachkräfte fortgebildet sein.

„Bislang waren alle Fortbildungen – ohne große Werbung – schnell ausgebucht“, berichtet Knappmeyer. Die Stadt Minden sei in diesem Gemeinschaftsprojekt für die Buchung von Räumlichkeiten und die Verpflegung verantwortlich. Zudem verwaltet sie dieses Projekt und nimmt die Anmeldungen entgegen. Das Inhaltliche verantwortet Cornelia Lippegaus zusammen mit Marianne Rötker, die in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern gearbeitet hat. Die Stiftung übernimmt den Großteil der Kosten. Daher könne die Fortbildung auch kostenfrei für die Teilnehmer*innen angeboten werden, so Knappmeyer. Ziel dieses Angebots ist es zum einen, Kinder in ihren Besonderheiten zu verstehen und ihnen gerecht zu werden, zum anderen aber auch pädagogische Fachkräfte zusammenzubringen, die dann im Idealfall multiprofessionell zusammenarbeiten. „Die Inhalte sollen verbinden“, erläutert der Bildungsplaner. Zentrales Anliegen der Stadt Minden sei es, Bildungseinrichtungen und -angebote (dazu zählt auch Kultur- und Jugendarbeit) deutlich stärker zu vernetzen.

„Es soll und es ist bereits eine Selbstverständlichkeit entstanden, zusammenzuarbeiten“, berichtet Marianne Rötker. Sehr gut sei der erste Fachtag am 9. Juni angekommen. Die Teilnehmer*innen hätten deutlich gemacht, dass es ihnen sehr wichtig sei, sich regelmäßig auszutauschen sowie das in der Fortbildung Gelernte weiter zu entwickeln und in der Gruppe Rückhalt zu finden. In den Seminaren bekommen die Teilnehmer*innen unter anderem vermittelt, dass die traumatischen Erfahrungen an sich nicht im Mittelpunkt stehen, sondern dass es zunächst darum geht, erst einmal den Blick auf jedes Kind zu richten, Verhaltensweisen aufgrund von möglichen Belastungen wahrzunehmen, aber auch die Ressourcen jedes Kindes zu erkennen.

„Kinder brauchen in erster Linie Schutz und Sicherheit, um sich gut zu entwickeln“, so Cornelia Lippegaus. Daher sei es wichtig, zunächst Nähe und Sicherheit herzustellen, Orientierung und Verlässlichkeit zu bieten. „Das geht oft auch ohne Sprache“, so Lippegaus in Bezug auf geflüchtete Kinder. Auch ohne die Ursache für posttraumatische Reaktionen zu kennen, sei es möglich, Zugänge zu den Kindern und Jugendlichen zu finden „Was beruhigt dieses Kind, was gibt ihm Halt?“, sind hilfreiche Fragen, die ein individuelles Handeln erfordern. Und: „Kinder bleiben Kinder – auch wenn sie schwerwiegende Belastungen erfahren haben“, so Cornelia Lippegaus und Marianne Rötker abschließend.

 

Bildquelle: © Pressestelle der Stadt Minden

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